24. Etappe: Rifugio 5° Artiglieria Alpina – Arfanta

Arfanta

Wir schälen uns am Morgen aus den quietschenden Metalldoppelstockbetten. Das schwäbische Pärchen packt schon wieder die Rucksäcke. Auch der Musiker vom Vorabend ist schon auf den Beinen. Nach dem Frühstück geht es auf der Südseite dieser letzten Bergkette abwärts. Schritt für Schritt verschwinden die Alpen hinter dem Rücken des Nevegal. Um diesen Moment nicht zu schwer werden zu lassen, laufen wir heute Morgen mit Musik. Blechern schallt es aus dem Handy: „Here comes the sun“. Weil weder vor noch hinter uns jemand läuft, singen wir laut mit und schlendern beschwingt in Serpentinen den Col Visentin hinab. Die Sonne steigt immer höher und erhitzt schnell die milde Morgenluft.

Die Hitze hat uns

Bald schon wird aus dem unbefestigten Weg eine Asphaltstraße. Eigentlich wollten wir noch eine Weile auf dem Bergrücken laufen, doch wir haben den Abzweig verpasst, wandern nun abseits unseres eigentlichen Weges an einer Straße entlang. Es ist heiß und wird immer heißer. Glücklicherweise finden wir einen Wanderweg zwischen den Serpentinen der Straße. Der Trampelpfad liegt im Schatten der Bäume und lässt sich deutlich angenehmer laufen als die harte Straße.

Gegen halb zwölf erreichen wir Revine, ein kleines verschlafenes Dorf. Im Zentrum gibt es einen Metzger und eine Bäckerei. Eine Taverne an der Straßenecke hat schon Siesta. Also holen wir uns ein paar Brötchen und setzen uns in den Schatten der Bäume auf dem Marktplatz. Dazu gibt es Pfirsiche, die wir in Belluno gekauft hatten. Die Stimmung ist etwas gedrückt. Die Wärme schlägt auf’s Gemüt und wir hatten uns auf eine ordentliche Mahlzeit gefreut. Doch das spärliche Mittagessen muss reichen und so machen wir uns gegen 13.00 Uhr weiter auf den Weg nach Arfanta. Vorher kommen wir aber noch an einer Trinkwasserquelle vorbei, füllen unsere Wasserflaschen auf und wechseln die Schuhe. Ab jetzt baumeln die Wanderstiefel am Rucksack und ein angenehm leichtes Gefühl breitet sich an den Füßen aus.

Nach einem kurzen Hatscher auf Asphalt, erreichen wir die Ufer des Lago di Santa Maria. Der Schatten und Schotteruntergrund tun gut. Auf der anderen Seite des Sees können wir die Menschen baden sehen. Ein wenig neidisch beobachte ich das Treiben. Eine Abkühlung würde ich mir jetzt auch wünschen, aber wir wollen nur voran- und vor allem ankommen. Lang dauert unser Uferspaziergang nicht, dann stehen wir wieder in der prallen Sonne und durchqueren das nächste kleine Dorf. Glücklicherweise gibt es auch dort eine Wasserquelle. Wir halten unsere Halstücher darunter und legen sie uns kalt und nass in den Nacken. Riesige Oleandersträucher wachsen hier in den Vorgärten. Nach einer weiteren halben Stunde sind wir bereits in Tarzo. Die Siesta ist noch immer nicht vorüber. Aber wenigstens hat eine Gelateria geöffnet. Mit einem Eis setzen wir uns auf die Terrasse und atmen kurz durch. Gleich nebenan ist eine Apotheke. Das Reklamekreuz zeigt abwechselnd Temperatur und Uhrzeit an. 35°C – wir zerlaufen, wie das Eis in unseren Händen.

Stimmung unten – stille Stunden

Die Stimmung ist im Keller. Sebastian zweifelt an dem Plan bis Venedig zu laufen. Er will wenigstens die direkte Route in die Lagune statt ans Meer wählen. Die Unterkünfte sind allerdings seit Tagen gebucht und noch habe ich fest vor, die klassische Tour zu schaffen. Neben der Hitze liegt nun auch deutliche Spannung in der Luft, als wir in Tarzo aufbrechen, um die letzten Kilometer bis Arfanta zu gehen. Zu allem Überfluss endet der eingezeichnete Weg schließlich noch mitten im Gestrüpp und wir müssen ein ganzes Stück zurücklaufen.

Landschaftlich ist es hier sehr schön. Links und rechts von uns erstrecken sich Weinhänge. Doch wirklich genießen können wir das nicht. Unsere Füße schmerzen. Seit Stunden tropft mir der salzige Schweiß in die Augen. 16.00 Uhr sehen wir endlich das lang ersehnte Ortseingangsschild – Arfanta. Roberto da Tullio besitzt tatsächlich das wohl einzige Hotel in diesem kleinen malerischen Örtchen und das ist dann auch schnell gefunden. Wir fühlen uns etwas unwohl, als wir schweißgebadet in das vergleichsweise schicke Hotel einchecken.

Seit Stunden haben wir nicht mehr miteinander geredet und auch jetzt geht jeder still seiner täglichen Routine nach der Ankunft nach. Irgendetwas hat mich am linken Unterschenkel gestochen. Das Bein krabbelt und wummert heftig. Es ist geschwollen. Die Einstichstelle nässt. Ich lege das Bein hoch und beginne nach einer möglichen neuen Route zu suchen, um die verbleibenden Tage doch noch zu Fuß zu schaffen. Es fällt mir außerordentlich schwer, mich mit dem Gedanken anzufreunden, von der Originalroute abzuweichen. Von Beginn an hatte ich mich auf den Moment gefreut, an dem ich zu Fuß das Meer in Jesolo erreiche. Mit der neuen Route wird das nicht mehr möglich sein.

Anders als geplant

Ich drehe mich zu Sebastian um. „Folgender Vorschlag: Wir gehen den direkten Weg in die Lagune, sparen so rund 30 Kilometer, aber wir nehmen am Ende nicht Fähre, Bus oder Bahn, um nach Venedig zu kommen. Wir laufen dann wirklich alles zu Fuß, über die Autobrücke bis auf den Markusplatz.“ Sebastian schaut mich still an, sein Gesicht lichtet sich etwas. Er nickt schließlich. Und so beginne ich, die gebuchten Unterkünfte nach unserer Übernachtung in Ponte della Priula zu stornieren. Stattdessen reserviere ich ein Bed & Breakfast in Silea und eine Pension in Mestre.

Ich muss mich wirklich zusammenreißen, um den Gedanken des Versagens nicht allzu groß werden zu lassen. Rückblickend betrachtet war es die richtige Entscheidung. Aber sie tat in diesem Moment verdammt weh, weil ich mich von der Idee, ans offene Meer zu laufen, verabschieden musste. Gleichzeitig war es einer der wichtigsten Momente und eine kleine Lektion für meinen Umgang mit Situationen, die sich anders entwickeln, als man denkt. Zu Fuß zu reisen, bedeutet immer auch flexibel zu bleiben. Schließt sich eine Tür, öffnet sich eine andere und auch wenn es anders ist, kann es trotzdem gut und schön werden. Zwar werden wir das Meer nicht zu Fuß erreichen. Doch wirklich auf den Markusplatz gelaufen zu sein, können nur ganz wenige Venediggeher von sich behaupten.

Bei einem überragenden Abendessen auf der Terrasse von da Tullio mitten im Weinberg und einem guten Glas Rotwein lassen wir den Abend ausklingen. Die Stimmung hat sich gehoben und wir können den lauen Sommerabend genießen bevor wir erschöpft in die Kissen fallen.

Ach übrigens: Den Musikus vom Vorabend haben wir nicht wieder getroffen. Er kam nicht wie angekündigt ins Restaurant von da Tullio, um uns den genauen Weg entlang der Sile zu beschreiben.

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