Mein Platz beim Frühstück ist schon besetzt. Eine kleine schwarze Katze hat sich auf dem Stuhl zusammengerollt, auf dem ich gestern Abend noch gesessen habe. Auch als wir an den Tisch herantreten, lässt sich das Fellknäuel nicht stören. Ein Lächeln huscht über mein Gesicht und ich setze mich auf den Stuhl daneben. Es ist wie so oft am Morgen eine gemütliche Stimmung. Etwas verschlafen nippen wir an unserem Kaffee und genießen die warmen Sonnenstrahlen, die durch die Fenster in das Innere der Hütte fallen. Nachdem wir bezahlt haben, werfen wir noch einen Blick in unser Zimmer. Der Raum ist leer – bis auf eine schwarze Regenjacke. Uns gehört sie nicht. Die beiden Belgier sind allerdings auch längst über alle Berge. In welche Richtung sie heute ihre Tour fortgesetzt haben, wissen wir nicht sicher und so geben wir die Jacke beim Hüttenwirt ab.




Danach beginnt der Aufstieg auf die Forcella di Citta. Es ist einer der wenigen Tage, an dem wir bereits morgens mit Sonnenschein aufbrechen. Doch je höher wir kommen, desto stärker drücken die Wolken gegen die Berge. Bald schon ist das Rifugio Pramperet in der Wolkensuppe verschwunden. Die Sonne kommt erst wieder als wir auf der Portela del Piazedel ankommen und das gegenüberliegende Tal blicken können. Noch einmal wird mir bewusst, dass es die letzten Augenblicke in den Alpen sein werden – die letzten Ausblicke dieser Art. Wieder wächst der Klumpen im Hals. Mehrfach halte ich kurz an, um die Momente im wahrsten Sinne des Wortes zu inhalieren.
Den Lachtränen so nah
Über Geröll und felsigen Grund beginnt eine kleine Kraxelei, begleitet von faszinierenden Ausblicken und Wolken, die sich abwechselnd vor die Berge schieben, um wenig später wieder aufzureißen. Dabei sind die Temperaturen sehr angenehm. Einen besseren letzten richtigen Alpentag kann man wohl kaum erwischen. Als wir über die Kuppe der Forcella di Citta gelangen, sehen wir auf dem abfallenden Hang zwei alte Bekannte – die Belgier.

Der Hyperaktive rennt im Stechschritt den Berg hinab, während sein etwas älterer Begleiter sich zum Durchschnaufen hingesetzt hat. Als der Erste uns sieht, wedelt er aufgeregt winkend mit den Armen. Als wir sie wenig später einholen, fragt Sebastian, ob sie eine schwarze Regenjacke vermissen, weil im Zimmer eine hängen geblieben ist. „Oh ja, das ist wahrscheinlich meine. Hast du sie mitgebracht?“ fragt der Hyperaktive. Sebastian verneint. „Wir waren unsicher, ob ihr in diese Richtung weiterlaufen würdet.“ Der ältere von beiden beginnt laut zu lachen, während der Andere dem fortschreitenden Verlust seiner Ausrüstung mit ähnlichem Gleichmut begegnet, wie schon gestern Abend. „Ach naja, dann wird das wohl nix mehr mit kampieren.“ meint er nur stirnrunzelnd.
Ich muss mir kräftig auf die Zunge beißen, um nicht ebenfalls in Lachtränen auszubrechen. Als wir einige Meter zwischen uns und die beiden gebracht haben, meint Sebastian nur trocken „Hoffentlich laufen sie nicht mehr allzu lang. Sonst kommt er noch nackig im Tal an.“ Schon 11.00 Uhr erreichen wir das Rifugio Pian de Fontana. Dort haben offenbar gerade die letzten Übernachtungsgäste ihr Lager verlassen. Obwohl die Mittagszeit noch fern ist, haben wir schon wieder Hunger. Der Hüttenwirt belegt uns zwei ordentliche Weißbrote mit Wurst und Käse. Einen Moment genießen wir noch die Ruhe auf der Alm, bevor wir den Weg ins Tal und später wieder bergauf über die Forcella de La Varetta fortsetzen. Mit Blick nach vorn wird deutlich, dass die felsige Landschaft der Dolomiten hier langsam zu Ende geht. Weite satt grüne Wiesen bedecken die jetzt eher hügelige Bergwelt.





Sonnenbad statt Klettersteig
Der Abstieg ist dennoch steil. Dass wir etliche Höhenmeter hinter uns gelassen haben, spüren wir sehr konkret an den steigenden Temperaturen. Schließlich erreichen wir den Abzweig zwischen der Schiara und dem Rifugio Bianchet. Wir wählen den Weg nach unten Richtung Rifugio Bianchet. Durch dicht bewachsenen Wald kommen wir gegen 13.30 Uhr an der Hütte an. Es ist ruhig. Keine anderen Gäste in Sicht. Vor der Hütte erstreckt sich eine weite Wiese mit Liegestühlen. Wir bringen unsere Rucksäcke auf unser Doppelzimmer, essen eine vernünftige Portion Spaghetti al Ragù und lassen uns zufrieden in die Sonnenliegen fallen. Seit drei Wochen ist es das erste Mal, dass wir unsere Ankunft auf der Hüttenterrasse in der Sonne liegend zelebrieren können. Kurz hänge ich in Gedanken noch der Frage nach, was wir wohl verpassen, jetzt da wir die Übersteigung der Schiara auslassen. Währenddessen heftet mein Blick an dem Bergmassiv. Doch dann übermannt mich die Müdigkeit und binnen weniger Minuten schlafen wir beide ein.




Erst gegen Abend sind wir wieder einigermaßen wach, als sich die Hütte mit Kletterern und Wanderern füllt, die morgen entweder die Schiara besteigen oder von hier aus ins Tal absteigen wollen. Überrascht stellen wir fest, dass unter ihnen auch der ältere Mann ist, dessen grünen Rucksack wir im Regenwetter von der Schlüterhütte zum Grödner Joch vor uns aus den Augen verloren hatten. Seitdem hatten wir ihn nicht wieder gesehen. Es ist seltsam, wie bekannte Gesichter für Tage verschwinden und plötzlich kreuzen sich die Wege wieder.
Highlight des Abends ist ein brennendes Crème Brûlée. Im Herkunftsland dieser Nachspeise wäre wohl niemand auf die Idee gekommen, einen hochprozentigen Fusel über dem Vanillepudding abzufackeln, um den Zucker zu flambieren. Aber die italienische Variante finde ich durchaus ansprechend und vor allem lecker. Danach fallen wir ziemlich zufrieden in unser Metalldoppelstockbett.